Bestimmt hast du es mitbekommen, das Urteil des Bundesarbeitsgerichts: Die komplette Reisezeit einer Dienstreise ist Arbeitszeit. Das ist vor allem für Arbeitnehmer interessant, die häufiger auf Dienstreisen ins Ausland geschickt werden. Denn, so entschieden die Richter, ist die Zeit zu diesem Ort und zurück wie Arbeit zu vergüten ist sofern die Reise ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers erfolgt. Bislang war diese Zeit zwar auch Arbeitszeit; allerdings nicht zu vergüten. Es kam darauf an, ob der Reisende in dieser Zeit arbeiten musste (z.B. selbst fahren). Oder ob er sie selbst gestalten konnte (z.B. lesen). „Im schlimmsten Fall würde das Urteil dafür sorgen, dass Tagungs- und Eventteilnahmen im Ausland zurückgefahren werden.“
Diese Einschätzung teile ich auch. Dennoch glaube ich, dass dieses Urteil und der entstehende Kostendruck auch Vorteile haben (können). Aus mehreren Gründen:
1) Eventmanager und Teilnehmer werden adäquat vergütet
„Früher“ war es ganz normal, dass Arbeitszeit vergütet wurde. Mit der „Geiz ist Geil“-Mentalität und der „Zeit der ewigen Praktikanten“ wurde es auch normal, dass Überstunden zunahmen und nicht vergütet wurden. Dabei sind Überstunden weder cool noch normal. Und Arbeitszeit, also eben auch Reisezeit, sollte stets vergütet werden. Wir haben doch klare Arbeitsverträge geschlossen und tauschen Zeit gegen Geld. Oder eben Geld gegen Zeit. Warum sollte dieser Vertrag einseitig übererfüllt werden?
Sowohl Eventmanager als auch Teilnehmer profitieren also von dem Urteil, dass Reisezeit auch Arbeitszeit ist.
2) Reisen jeglicher Art werden stärker hinterfragt
Wie auch Bernd Fritzges schon sagt, steigt durch die zu vergütende Reisezeit der Kostendruck auf die Unternehmen. Und ja, möglicherweise werden schnellere Reiserouten gewählt. Allerdings glaube ich, dass mehr Reisen ins Ausland komplett wegfallen als sie schneller durchgeführt werden. Und das wäre für unsere Umwelt mehr als dringend notwendig. Vor allem die ständig steigende Zahl der Flugreisen könnte und sollte sich dadurch endlich reduzieren. Ja, das träfe am Ende auch einige Anbieter der MICE-Branche. Dass sich ein MICE-Verband dazu besorgt äußert, kann ich sehr gut nachvollziehen. Mit Blick auf die dramatischen Entwicklungen auf unserem Planeten kann ich jedoch nur begrüßen, dass wir alle weniger durch die Welt und die Luft jetten.
Ich selbst war schon oft genug auf Veranstaltungen im In- und Ausland und Treffen, die telefonisch, per Skype oder gar nicht hätten stattfinden müssen. Viel Blabla und hinterher hat es niemanden interessiert.
Ich selbst war auch mehrmals für verschiedene Arbeitgebers bei Teambuilding-Events im Ausland dabei. Für 3 oder 4 Tage ging es mit dem Flieger ins europäische Ausland. Mehr als einmal habe ich mich dabei gefragt, warum es nicht auch ein benachbarter Ort oder gar der Firmensitz getan hätte. Deutschland hat viel zu bieten. Wir müssen nicht für ein Wochenende zum Shoppen oder zum Teambuilding jetten. Werden solche Events und Flugreisen nun weniger stattfinden, wäre das ein großer Gewinn für unseren Planeten.
3) Digitale Tools werden attraktiver
Für eine Site Inspection einer komplexen Veranstaltung sollten wir vielleicht persönlich anreisen. Müssen wir aber gar nicht. Dank AR und VR können wir uns viel vorher ansehen. Außerdem gibt es schon heute Anbieter, die 3D-Pläne zur Verfügung stellen. So können wir die Reisezeiten hierfür auf null reduzieren.
Wir könnten auch endlich mit zuverlässigen digitalen Plänen der Locations rechnen. Denn wir können nun nicht mehr „für jede“ Frage anreisen. Klingt für dich absurd? Du meinst, die Locations haben doch alle akkurate Pläne? Da habe ich schon des Öfteren das Gegenteil erlebt. Und nein, es handelte sich nicht um die kleinen unbekannten Off-Locations.
Außerdem habe ich auch schon Veranstaltungen ohne jegliche Site Inspection – und erst recht ohne jedes Hotel zu besichtigen – durchgeführt. Aus dem gleichen Grund, den auch schon Bernd Fritzges nannte: Kostendruck. Und was soll ich dir sagen? Es geht!
4) Events werden kundenorientierter
Steigt der Kostendruck u.a. durch die zu vergütende Reisezeit, sollten Events auch kundenorientierter werden. Na kar, schon heute gibt es Veranstalter, die wirklich auf die Bedürfnisse ihrer Teilnehmer eingehen. Doch es gibt auch genug, die das noch immer ignorieren können. Wird nun die Eventteilnahme durch die zu vergütende Arbeitszeit teurer, müssen sich Veranstalter mehr ins Zeug legen. Wir reden und schreiben zwar viel von interaktiven Eventformaten, doch die Mehrzahl der Veranstaltung ist immer noch frontal.
Und die organisatorischen Abläufe des Veranstalters stehen vor den Bedürfnissen der Kunden.
Ein sehr schönes Beispiel dazu habe ich erst kürzlich auf einem Konzert erlebt. Der Veranstalter hatte digitale Tickets, also Ticketcodes, über seinen eigenen Shop verkauft. Und eine Handvoll Papiertickets über klassische Kanäle. Aus organisatorischen Gründen gab es zwei Einlass-Schlangen. Eine, die weit die Straße hinunterreichte und eine, an der maximal zwei Leute anstanden. Welche war wohl die mit den Ticketcodes? Genau! Die lange. Aus Sicht der Kunden ein absolutes No Go. Wer kauft denn bei der nächsten Tour wieder einen Code? Nur der, der gern ansteht.
5) Events werden wertvoller
Im wahrsten Sinne des Wortes. Wer als Auftraggeber möchte, dass du beim Event dabei bist, wird nach deiner Teilnahme wissen wollen, was der Mehrwert ist. Was hast du gelernt? Was hast du mitgebracht? Hat sich die Teilnahme auch an diesem Fam Trip, an dieser Konferenz oder an diesem Treffen wirklich gelohnt? Oder warst du nur mal eben so dabei?
Und bei Ausschreibungen für Events mit Vorbereitungsreisen ins Ausland kannst du auch gleich die zu vergütende Reisezeit eintragen. Als Bieter kannst du dich nun auf ein Urteil berufen.
6) Events werden eher beworben
Oh, was würde ich mich freuen, wenn alle ihre Veranstaltungen frühzeitig bewerben würden. Ich glaube, es gibt heutzutage kaum jemanden, der über einen jungfräulichen Terminkalender verfügt. Je eher du deine Veranstaltung bewirbst, desto höher sind die Chancen, dass dein Teilnehmer sie einplanen kann. Das gilt zwar schon jetzt. Doch mit steigendem Kosten- und Rechtfertigungsgrund wird das noch wichtiger.
Übrigens: Meine Teilnahmen an MICE-Events plane ich häufig 6 bis 12 (!) Monate im Voraus. Wer mir erst 4 Wochen vorher eine Einladung sendet, hat leider Pech gehabt. Mag das Event noch so spannend sein.
Möchtest du als Eventplaner eher in die Vermarktung gehen, kannst du das Urteil zur Reisezeit und den gestiegenen Kostendruck für deine Teilnehmer auch als Argument gegenüber anderen nutzen. Gegenüber Chefs, Auftraggebern, Verbandspartnern und vielen mehr. So kannst du viel eher Entscheidungen und Zuarbeiten & Co. einfordern.
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Jetzt bist du dran: Freust du dich über das Urteil zur Reisezeit oder bist du eher besorgt? Und hast du auch schon einmal probiert, deine Arbeits- und Pendelzeit dank Home Office zu reduzieren?