Nachhaltigkeit ist vermutlich gerade das Buzzword in der Eventbranche und in vielen anderen Industrien. Dabei wird jedoch immer deutlicher, dass wir gerade erst am Anfang stehen. Die allermeisten Events sind mitnichten nachhaltig. Und das eigene Event nachhaltiger zu gestalten, ist eine echte Herausforderung. Eher ein Marathon als ein Sprint. Und genau das macht’s so herausfordernd. Denn einen Sprint kann man auch als recht ungeübter Läufer mal hinlegen. Einen Marathon ohne Vorbereitung laufen – das gelingt nur den wenigsten. Genauso ist’s auch mit nachhaltigen Events. Schritt für Schritt können wir uns dem Ziel eines klimaneutralen Events nähern. Doch geht das wirklich? Ist nicht das nachhaltigste Event jenes Event, das gar nicht erst statt findet? Falsch! So hab ich bis vor Kurzem auch gedacht. Doch der Nachhaltigkeitsexperte Stefan Lohmann hat mich vom Gegenteil überzeugt. Wie? Das erfährst du in diesem Beitrag.
Nachhaltigkeit in der Eventbranche als Chance
Warum Nachhaltigkeit in der Eventbranche so wichtig ist
KT: Warum ist Nachhaltigkeit in der Eventbranche so wichtig? Mal abgesehen von den Stories und Nachrichten, die wir als Veranstalter durch die Marketing-Kanäle jagen können. Können wir nicht so weitermachen wie bisher? Was soll uns schon passieren?
SL: Ganz einfach, weil wir bis 2045 gesetzlich klimaneutral sein müssen. Wir bedeutet, wir in Deutschland und demzufolge auch wir in der Eventbranche. Daran kommt niemand bei uns vorbei. Das kürzlich nachgebesserte Klimaschutz-Gesetz betrifft jeden und jedes Unternehmen. Oder auch anders ausgedrückt: Veranstaltungen, wie wir sie noch 2019 organisiert und durchgeführt haben, wird es 2045 schlichtweg nicht mehr geben. Je eher wir uns darauf einstellen und vorbereiten, desto besser.
Übrigens: Die USA oder China haben z.T. viel schärfere Vorschriften in ihren Gesetzen, was den künftigen Klimaschutz betrifft, z.B. in der Autoindustrie. Außerdem sind sie uns beim Ausbau der regenerativen Energien weit voraus. Aber das sind nur die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Oben drauf kommt noch die Klimakrise. Wenn wir das 1,5 Grad Ziel verfehlen, dann werden Outdoor Events immer risikoreicher teurer und letztendlich nicht mehr versicherbar, wenn Unwetterkatastrophen immer häufiger vorkommen. By the Way: 2019 wurden schon zwei der größten Festivals aufgrund von Unwetter abgesagt.
Nachhaltigkeit in der Eventbranche – spätestens bis 2045 per Klimaschutz-Gesetz
Ist das nachhaltigste Event, jenes, das nicht stattfindet?!
KT: Was ist dran an dem Spruch, dass das nachhaltigste Event jenes ist, das nicht stattfindet?
SL: Ein Satz, den ich sehr oft höre. Vermutlich glaubt 99% unserer Branche daran und deshalb ändern viele ihr Verhalten und ihre Planungen nicht. Dabei ist das wirklich nur ein Mythos, mit dem wir unbedingt aufräumen müssen.
Here is why:
Wir sind als Branche in der Lage, Dinge zu optimieren. Darin sind wir Weltmeister. Und wir können den negativen Impact durch Veranstaltungen extrem minimieren, also extrem runterfahren. D.h. wir sind also nur noch ein bisschen Klimasünder. Diesen kleinen Rest an unvermeidbaren Emissionen müssen wir dann kompensieren, um rechnerisch klimaneutral zu sein. Das ist der Status Quo in Bezug auf Klimaneutralität in der Eventbranche – aber als Branche könnten wir eigentlich noch viel mehr tun. Dazu kommen wir ja später noch.
Es gibt aber immer noch Dinge, die wir als Branche nicht lösen können. Z.B. sind Flüge von Speakern und Besuchern mit hohen CO2 Emissionen verbunden. Wir können optimieren und mit online Zuschaltungen arbeiten. Und wir können die Besucher auf nachhaltige Möglichkeiten zur An- und Abreise hinweisen. Wir können also das, was an nachhaltigen Lösungen bereits existiert, nutzen.
Allerdings ist es die Aufgabe anderer Branchen, das nachhaltige Reisen und Fliegen endlich zu ermöglichen. Dieser Part ist nicht mehr unser Job. Also, wenn ein Teilnehmer oder ein Speaker zu unserem Event per Flieger anreist, weil es nicht anders geht, ist das durchaus OK. Wir können nicht die Anreise jedes Einzelnen regeln oder dessen negativen Impact komplett verhindern. Aber wir können die Anreisen der Vielen sehr wohl beeinflussen und die Emissionen deutlich verringern. Das ist die Aufgabe unserer Branche.
Die Chancen liegen in der Live-Kommunikation
KT: Die Live-Kommunikation kann die Nachhaltigkeit in der Eventbranche beeinflussen?
SL: Nicht nur das. Wir können als Eventbranche alle Menschen und alle Branchen positiv beeinflussen. Nun gut, fast alle. Immerhin berühren wir mit unseren Events unheimlich viele Menschen. Nahezu jede und jeder geht auf irgendeine Veranstaltung – vom Seminar, über Messen, Kongresse bis zu Konzerten. Darüber hinaus organisieren wir als Eventplaner und Dienstleister Events in nahezu allen Branchen. D.h. wenn wir klimaneutrale Events organisieren, kann dieser Funke auf viele andere Menschen und Branchen überspringen.
KT: Wie genau können wir denn mit Live-Kommunikation die Nachhaltigkeit in der Eventbranche beeinflussen?
SL: In dem wir die Live-Kommunikation nachhaltig gestalten und in dem wir unsere Kommunikation ändern.
Hier einige Beispiele:
1. Nachhaltigkeit in der Eventbranche durch die richtige Location
Die Anreise der Teilnehmer macht circa 70 Prozent des CO2 Emissionen bei einem Großevent aus. Natürlich variiert das von Event zu Event. Veranstaltungen mit internationalem Publikum haben einen deutlich höheren CO2-Fußabdruck durch die An- und Abreise als regionale Veranstaltungen.
Doch die Daumenregel lautet: Wähle die passende Location für dein Event. Organisiere eine Veranstaltung mit Publikum aus Süddeutschland nicht im Norden von Deutschland. Und suche solch eine Location aus, die man auch mit den ÖPNV gut erreichen kann. Dann hast du schon viel gewonnen.
Wählst du darüber hinaus eine nachhaltige Location, sorgt diese zudem mit echtem Ökostrom für Null Co2 Emissionen. Sie liefert ein umfassendes Abfallmanagement inklusive Müllvermeidung und Recycling. Außerdem sorgt sie für Inklusion, Gleichberechtigung, Diversität und faire Bezahlung. Darüber hinaus pflegt sie eine nachhaltige Kommunikation nach außen. Darin enthalten sind die Informationen für die Eventgäste, wo sich die Haltestellen befinden und wie sie die Location CO2-frei erreichen.
nachhaltige Event-Location
2. Kommuniziere Nachhaltigkeit und mach eine grüne Anreise attraktiv
Das ist pure Kommunikations-Aufgabe. Sag deinen Event-Teilnehmern, dass du ein nachhaltiges Event organisierst und schlage ihnen die Anreise mit der Bahn proaktiv vor. Bei Tipp für Corporate Events: Die Zeit, die Arbeitnehmer für die Anreise benötigen, sollte als Arbeitszeit angerechnet werden. Wetten, dass die Akzeptanz, mit der Bahn statt mit dem Flieger zu reisen, sprunghaft steigt?
3. Kommuniziere Nachhaltigkeit und erkläre so Neuheiten und Einsparungen
Eine international bekannte Marke hat bei ihrem letzten Präsenzevent die Verkleidung der Bühne deutlich reduziert. D.h. sie hat sich die Unmengen von Molton rund um die Bühne gespart und stattdessen das Bühnengerüst durch ein Lichtdesign aufgewertet. Das Ergebnis gibt ihr recht. Die Teilnehmer waren durchweg begeistert. Allerdings bin ich fest davon überzeugt, dass ihr dies durch die transparente Kommunikation gelungen ist. Sonst hätte es womöglich geheißen, dass dies nur unschöne Sparmaßnahmen seien. Kommunikation ist hier DER Hebel.
4. Nachhaltigkeit dank organisierter Shuttlebusse
Ein weiteres Beispiel für Nachhaltigkeit in der Eventbranche sind organisierte Shuttle-Busse. Damit Festivalveranstalter die Kosten und das Risiko nicht alleine tragen, entwickelt ein anderer Dienstleister gerade eine Online-Plattform. Dank dieser können die Festivalbesucher dann an zentralen Orten sich Plätze reservieren. Ist der Bus bis zu 80 Prozent belegt, ist die Fahrt garantiert. Die Festivalbesucher buchen sich also ihre Shuttle-Busse selbst und können mit Freunden die Fahrt planen. Dabei profitieren sie von einer gemeinsamen und dadurch günstigeren sowie umweltfreundlicheren Anreise direkt zum Festivalgelände. Und dem Veranstalter entstehen keinerlei zusätzliche Kosten.
So entstehen durch Nachhaltigkeit in der Eventbranche, also Sustainable Event Solutions, übrigens auch ganz neue Geschäftsfelder. In diesem Falle für den Shuttlebus-Anbieter.
Nachhaltigkeit in der Eventbranche ist die Pflicht, klimapositive Events sind die Kür
KT: Nachhaltige Events sind nur der Anfang? Was verbirgt sich hinter klimapositiven Events?
SL: Genau. Zunächst geht es darum, dass wir als Event-Veranstalter und Dienstleister den Impact unserer Events senken. Soweit wir nur können. Doch wir können noch viel mehr. Wir können aus unseren Events solche machen, die einen positiven Einfluss auf unser Klima und auf unsere Gesellschaft haben.
Außerdem können wir den positiven Impact enorm steigern und zwar durch:
- eine nachhaltige Lieferkette, z.B. mit Locations, Catering, Logisitik, Messebau,
- in Zusammenarbeit mit NGOs, z.B. WWF, Greenpeace,
- und örtlich ansässigen Firmen, z.B. Förderung von Schulen, benachteiligter Kinder, Sportgruppen
- sowie sozialen Vereinen.
Solche Kooperationen mit lokalen Firmen und Vereinen wird beispielsweise in Kopenhagen von den ausländischen Veranstaltern eingefordert. Das ist DIE Chance für unsere Branche.
Hier drei Beispiele für einen positiven Impact durch Events:
Klimapositive Events – einen Baum pro Ticket
Zuerst jedoch solltest du alles getan haben, um den negativen Impact zu verringern und die unvermeidbaren Emissionen zu kompensieren. Dann kannst du pro Event-Ticket ein Baum pflanzen. Das wiederum kann je nach Besucherzahl einen sehr hohen positiven Impact haben.
Praxistipp: Achte darauf, mit welcher Organisation du bzw. ihr die Bäume pflanzt. Dabei gibt es wirklich große Unterschiede.
Nachhaltigkeit in der Eventbranche heißt beispielsweise: Bäume pflanzen
Zusätzliche Nachhaltige Projekte dank des Deutschen Nachhaltigkeitspreises
Die Gewinner des Deutschen Nachhaltigkeitspreises im Bereich Städte dürfen ihren Gewinn von 30.000 Euro ausschließlich in neue, nachhaltige Projekt investieren. Zusätzlich erhalten die Städte viel Medienaufmerksamkeit durch den Award. D.h. da passiert richtig etwas bei jeder Veranstaltung. So sieht ein positiver Einfluss eines Events aus.
Positiver Einfluss einer nachhaltigen Lieferkette
Wer für eine nachhaltige Lieferkette sorgt, sorgt automatisch dafür, dass all die Dienstleister und Produzenten in dieser Kette ein positiven Einfluss hinterlassen. Schließlich ist jeder in der Lieferkette nachhaltig. Dazu zählt auch, dass diese Anbieter ihr Personal angemessen bezahlen. Oder dass sie etwas für einen guten Zweck spenden. Oder eben Bäume pflanzen, NGOs unterstützen etc.
Kurzum: Mit nachhaltigen Events können wir einen wirklich großen und positiven Einfluss pro Event realisieren. Und das sollte das Ziel unserer Branche sein, damit sind wir relevant und werden Teil der Lösung.
Potenziale für Nachhaltigkeit in der Eventbranche
KT: Hast du noch ein paar konkrete Beispiele parat, wie wir alle dazu beitragen können, dass unsere Events klimaneutral oder gar klimapositiv werden?
SL: Ziemlich viele sogar. Ein paar davon will ich hier nennen.
- Hol dir Ökostrom bei deinem Event.Es ist mir ehrlich gesagt noch unbegreiflich, warum noch nicht längst alle umgestiegen sind. Du sparst sogar Geld dabei.
- Hol dir einen Technik-Profi, der dir Strom einspart.Ob du für einen bestimmten Lichteffekt eine komplette LED-Wand oder nur ein paar blinkende Lampen einsetzt, macht im Effekt kaum einen Unterschied. Im Stromverbrauch und damit in der Stromrechnung ist der Unterschied riesig.Übrigens: Wusstest du, dass viele Generatoren bei Events völlig überdimensioniert geplant werden. Mit anderen Worten: Einige AV-Dienstleister stellen Heizkörper auf, um damit die Strom-Grundlast zu steigern. Das tun sie, damit mit bei Stromspitzen die Sicherungen nicht durchknallen. Aber damit wird richtig viel Strom, Ressourcen und Geld verballert. Eine Lösung für dieses Phänomen gibt es bereits: Batterien in Kombination mit Generatoren.
- Verabschiede dich von Strompauschalen – als Anbieter ebenso wie als Abnehmer.Verhandle verbrauchsabhängige Preise. So kannst du als Abnehmer des Stroms richtig viel Geld sparen. Als Anbieter solltest du schnell darauf umsteigen – du hast damit echte Vorteile gegenüber Wettbewerbern. Denn Kunden werden bald danach fragen.
- Kooperiere mit andern.Niemand muss nach einem Event den Teppichboden wegschmeissen. Oder nahezu identische Bühnen in ein und derselben Location an einem Tag ab- und am nächsten Tag wieder aufbauen. Wer hier mit den Veranstaltern vor oder nach sich in der Reihe kooperiert, kann bares Geld und Ressourcen sparen.
- Frage nach digitalen Plänen deiner Location.Hier meine ich vor allem die Hängepunkte. Locations sollten dir anhand genauer, digitaler Pläne VOR dem Beginn deiner Planungen sagen können, wo sich diese befinden. Das spart dir Geld und ihnen Zeit. Wer es als Vermieter schlau macht, verkürzt so deutlich die Auf- und Abbauzeiten in seinen Hallen.
- Biete leckeres, regionales und klimafreundliches Catering an.MEET GERMANY hat es erst kürzlich vorgemacht und es war grandios.
Hol dir Ökostrom – das schont Ressourcen und deinen Geldbeutel
Fazit
Stefan Lohmann
Nachhaltigkeit in der Eventbranche ist nicht teurer, wenn du Nachhaltigkeit als Grundlage der Veranstaltungsplanung verstehst und immer ganzheitlich betrachtest. Denk nur noch einmal an die enormen Einsparpotenziale beim Strom, beim Ressourceneinsatz oder beim Müllaufkommen. Mit unseren nachhaltigen Events haben wir die Chance, viele Menschen zu berühren und zu nachhaltigem Denken und Verhalten zu bewegen.
Lass uns nicht dort landen, wo da die Billigfleisch-Industrie heute ist. Die behauptet immer noch das Biofleisch sei teurer. Dabei verschweigen sie jedoch, dass die Gesellschaft für die Umweltschäden der Branche zahlt.
Viel mehr können wir als Eventbranche Vorreiter sein und andere inspirieren und sogar neue Geschäftsmodelle kreieren (lassen). Die nachhaltigste Veranstaltung ist eben nicht die, die nicht stattfindet, sondern die, die einen positiven Impact generiert.
Linktipp:
16 Steps zur Klimaneutralität der Veranstaltungswirtschaft bis 2025
Mit mittlerweile 13 Verbänden und Netzwerken geht die Eventbranche geht gemeinsam Schritt für Schritt zur Klimaneutralität und setzt damit den Standard für eine nachhaltige Eventbranche.
Interviewpartner:
Stefan LohmannSustainable Event Solutions
Stefan Lohmann ist ein Hamburger Talent Buyer und Artist Relations Manager. Zu seinem Leistungsportfolio gehören Live Entertainment Konzepte für Konzerte, Festivals und Events. Als Experte für Nachhaltigkeit in der Eventbranche schreibt er regelmäßig Artikel und ist aktiv in verschiedenen Netzwerken und Verbänden. Seit vielen Jahren betreut er den Deutschen Nachhaltigkeitspreis und ist offizieller Partner. Zudem ist er Gründer von Sustainable Event Solutions. Einer Online Plattform und Netzwerk, das die nachhaltigen Lösungen und Lieferant*innen der Eventbranche sichtbar macht.
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